Vortrag von Abt Hirschler über das Thema "Luther und die Juden"
Der Abt des Klosters Loccum, der frühere Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, D. Horst Hirschler, beschloss die Sommerakademie der Lutherkirchengemeinde in Leer mit einem Vortrag zum Thema „Luther und die Juden“. Dies sei ein Thema, das besonders jene tief erschüttere, die viel von Martin Luther halten. Der frühere Landesbischof stellte sich den Äußerungen Luthers in seiner direkten Art. Hirschler nahm die Zuhörer mit auf eine einstündige Reise durch Luthers Leben und dessen bekannteste Schriften. Sich in Luthers Leben hineinzubegeben, sei nach wie vor faszinierend, sagte Hirschler.
Der Abt zeichnete zunächst das Bild des Reformators, der die Freiheit eines Christenmenschen als Folge des Gottvertrauens auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus gelehrt habe. Luther bleibe mit seinen reformatorischen Texten der grundlegende Lehrer für die evangelische Kirche. Er habe sich ein Leben lang dafür eingesetzt, dass der Mensch seine Identität nicht in sich selbst und seinen guten Taten finde, sondern allein in dem Gottvertrauen auf Jesus Christus. In seinen Schriften habe Luther eine zupackende, manchmal auch grob konkrete Sprache, fasste der Referent die Bedeutung und Theologie Martin Luthers zusammen.
Mit den Juden seiner Zeit sei der Reformator zunächst überraschend freundlich umgegangen, in der Hoffnung, sie, besonders durch seine Auslegung des Alten Testaments, für den christlichen Glauben zu gewinnen. Seine Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ von 1523 habe auch die Juden positiv überrascht, so Hirschler. Luther betonte, Jesus sei ein geborener Jude gewesen, und forderte, die Berufsverbote und Ehehindernisse für Juden aufzuheben.
Luthers anfängliche Sympathie für die Juden wandelte sich in Grimm, so Hirschler, als er erkannte, dass die Juden nicht für den christlichen Glauben zu gewinnen waren. Zwanzig Jahre später schrieb Luther „Von den Juden und ihren Lügen“, 1543. Hirschler gab einen Einblick in diese Schrift: „Luther stellte noch einmal die messianischen Weissagungen des Alten Testaments dar, äußerte sich böse über die jüdischen Verunglimpfungen des christlichen Glaubens und gab den Fürsten schlimme Ratschläge: Man solle ihre Synagogen verbrennen, ihre Schriften ebenfalls, den Rabbinern zu lehren verbieten, allen Juden den Schutz auf den Wegen verweigern und sie aus dem Lande vertreiben.“ Dazu sagte der frühere Landesbischof: „Auch wenn so etwas damals üblich war, sind wir über diese Äußerungen eines solch wichtigen Glaubenszeugen wie Luther zutiefst entsetzt.“ Dass es solche Fehlleistungen Luthers gäbe, tue einem als Freund Luthers weh. „Aber wer es auch für wahr hält, dass wir selbst allzumal Sünder sind, sollte sich über Luther nicht zu sehr wundern“, so der Referent.
Hirschler wies darauf hin, dass er 1938 fünf Jahre alt war, als nebenan die Synagogen brannten. Mit sichtlich bewegter Stimme sprach der Bischof von seinen Besuchen der KZ-Gedenkstätten in Auschwitz, Birkenau und Bergen-Belsen. „Gerade uns Deutschen tun die Schriften Luthers gegen die Juden weh! Wir werden besonders wach, wenn Juden schlecht behandelt werden.“ Die NS-Propagandisten hätten Luthers antijüdische Schriften genutzt und veröffentlicht. Allerdings hätten sie Luther grob verzeichnet und missverstanden. Nie habe er das Töten von Juden für akzeptabel gehalten.
Hirschler hat die 120 Zuhörer nicht geschont, sondern mit hineingenommen in die oft aggressive Sprache Luthers. Solch wütende Schriften habe der Reformator nicht nur gegen die Juden, sondern auch gegen den Papst, „Das Papsttum zu Rom vom Teufel gestiftet. 1545“, die Bischöfe, die Obrigkeiten, die aufständischen Bauern, die Täufer und die Türken geschrieben.
Der Abt zu Loccum unterstützte, was der Kirchenhistoriker Johannes Wallmann jüngst feststellte: Die Evangelische Kirche verleugne ihre Geschichte, wenn sie nicht sage, dass diese späte Schrift Luthers gegen die Juden innerkirchlich bewusst unterdrückt worden sei. Die 1543er Schrift sei in fast allen Lutherausgaben nicht vorhanden. Sie findet sich nur im Gesamtwerk. Akzeptabel war kirchlich immer nur der frühe Text von 1523.
Hirschler sprach sich gegen die Annahme des Reformationshistorikers Thomas Kaufmann aus Göttingen aus, der Tod seiner 13-jährigen Tochter Margarethe, seine Krankheiten und vieles andere habe Luther altersdepressiv gemacht. Deshalb habe er so böse geschrieben. Es gäbe aus jener Zeit Schriften, Briefe und Tischreden, die völlig anders seien, hielt der Referent entgegen und zitierte daraus.
Pastor Christoph Herbold dankte dem Referenten im Namen der Kooperationspartner und des Schirmherrn der Sommerakademie, Landessuperintendent Dr. Detlef Klahr. Herbold zeigte sich sichtlich erfreut, dass diese sechs Abende zur Vorbereitung auf das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017 auf so viel Interesse gestoßen sind und dass gerade die Kombination von Vortrag und Gesprächsrunden so gut angenommen wurde.