Ich gehe jeden Tag an Weihnachten vorbei. Ein Ölgemälde der Krippenszene hängt bei mir im Flur. Meist achte ich nicht darauf – wer will bei 35 Grad im Juli an Heiligabend denken? Aber in der dunklen Jahreszeit, wenn schon am Nachmittag die Dunkelheit vor den Fenstern lauert, bleibe ich stehen und schaue es an. Winterdunkel ist es auch auf dem Bild; nur schemenhaft sind Stall, Gegenstände und Vieh zu erkennen.
Die Dunkelheit hat System: Ein niederländischer Maler hat hier vor rund 400 Jahren die Nacht gemalt. Ohne künstliches Licht natürlich, aber auch ohne jede Laterne oder Feuerquelle. Es ist so dunkel, dass die Hand vor Augen nicht zu erkennen ist – eine fremde Erfahrung in unserem meist gut ausgeleuchteten Alltag.
Innen drin aber kennen wir solche Finsternis sehr wohl. Bei der einen schlucken Traurigkeit oder Schmerz jede lichte Freude, bei dem anderen verstellen die Angst um den Arbeitsplatz oder die Sorge um die globalen Krisen den Blick auf den nächsten Schritt.
In die Stalldunkelheit aber scheint ein Licht von woanders her: Das Jesusbaby im Stroh strahlt wie eine 100-Watt-Birne. Hirten sehen den Zauber und das Geheimnis von Weihnachten. Das Kind leuchtet alle dumpfen und dunklen Seelenwinkel aus. Gott selbst blickt auf die einfachen Männer und lässt sie nie mehr vergessen: Du bist gesehen. So dunkel kann es gar nicht werden, dass du verloren gehst.
Das ist Weihnachten: Der Himmel sortiert nicht unsere Erdenkrisen, sondern legt eine lichte Kraft in unsere Seelen, die uns durch unsere Zeiten lotst. Diese Kraft brauche ich nicht nur am Weihnachtsfest. Wie gut, dass ich jeden Tag an Weihnachten vorbeigehe!
Ich wünsche Ihnen, dass die Weihnachtsgeschichte auch für Sie persönlich immer wieder zu einer Hoffnungsgeschichte wird und Sie jeden Tag an Weihnachten vorbeigehen.
Ihre
Sabine Schiermeyer