Sterben als Teil des Lebens wahrnehmen

Nachricht Emden, 17. Juni 2023

Palliativtag mit Regionalbischof Klahr in Emden

„Uns liegt daran, das Sterben als Teil des Lebens wahrzunehmen“, sagte Regionalbischof Dr. Detlef Klahr, als er rund 160 Interessierte in der Johannes a Lasco Bibliothek begrüßte. Der Palliativtag wurde veranstaltet vom Evangelisch-lutherischen Sprengel Ostfriesland-Ems, der Onkologie UnterEms Leer-Papenburg-Emden und dem Palliativnetz Untere Ems. Dieser Tag sollte eine Würdigung der Menschen sein, die in diesem Bereich hauptberuflich oder ehrenamtlich tätig sind und den Sterbenden zur Seite stehen.

Die Redebeiträge wurden musikalisch gerahmt von Margarethe Huisinga am Akkordeon.

Sterben gehört zum Leben

„Für mich gehört das Sterben als Teil des Lebens zur Würde des Menschen. Würde ist kein Konjunktiv, sondern gehört zum Menschen, auch in der Phase seines Sterbens, unbedingt dazu“, so der Regionalbischof. Sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen, werde in der Bibel als klug und weise beschrieben. Martin Luther habe darüber ein Buch verfasst, wie man sich auf das Sterben vorbereiten könne. Dieses sei zu jener Zeit zum Bestseller geworden. 

Der Palliativtag sollte Gelegenheit geben für Impulse und Gespräche, um sich mit dem schwierigen und hoch aktuellen Thema des assistierten Suizid auseinanderzusetzen, um gerade den Personen, die sich in besonderer Weise damit beschäftigen eine Gelegenheit zur Meinungsbildung zu geben. Zum Palliativtag kamen Personen aus dem Bereich der Medizin und der Kirche, Pflegekräfte, Ehrenamtliche aus dem Hospizdienst und weitere Interessierte. Vorträge aus dem Bereich Medizin, Theologie und Politik gaben Anregungen für die sieben Gesprächskreise. Der offene Austausch stand dabei im Mittelpunkt des Tages.

„Bei uns ist das Sterben täglich präsent“, sagte der Onkologe Dr. Lothar Müller aus Leer und zeigte sich erfreut, dass so viele der Einladung zum Palliativtag gefolgt waren. Er sei zutiefst erschüttert und entsetzt darüber gewesen, als vor einiger Zeit die Debatte um den assistierten Suizid aufkam, und hat die Anregung zu dieser Veranstaltung gegeben. 
Von einer Autonomie des Menschen könne zu keinem Zeitpunkt die Rede sein, weil der Mensch immer in soziale Zusammenhänge eingebunden sei, gab Müller zu bedenken.
 

Einblick in die Debatte im Bundestag zum assistierten Suizid

Denen, die in diesem Bereich tätig sind und Sterbende begleiten, sprach die Bundestagsabgeordnete Anja Troff-Schaffarzyk (SPD) aus Hollen ihren Dank aus. „Wir müssen das Bewusstsein für die Bedürfnisse Sterbenskranker schärfen“, sagte Troff-Schaffarzyk und gab einen Einblick in die Debatte im Bundestag zur Sterbehilfe. Der Bundestag sei mit seinen 736 Abgeordneten ein Spiegel der Gesellschaft. In der Regel kommen Gesetzesinitiativen aus den Reihen jeweils einer Fraktion. Zu diesem Thema jedoch haben sich fraktionsübergreifende Gruppen gebildet und verschiedene Gesetzesentwürfe entwickelt.

„Es ist dringender Handlungsbedarf geboten, weil es derzeit keinen sicheren Rechtsrahmen gibt. Unsicherheit liegt seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 über den Sterbenskranken, deren Angehörigen und denjenigen, die Sterbebegleitung leisten wollen“, sagte Troff-Schaffarzyk. Rechtssicherheit und eine gute Anwendung in der Praxis seien notwendig. Der Bundestag hat im Mai eine Orientierungsdebatte zum Thema assistierter Suizid durchgeführt, auch darüber hinaus gab und gibt es viele Veranstaltungen der Gruppen zu ihren jeweiligen Gesetzentwürfen und im Juli wird es eine Entscheidung geben.

Sie selbst sei wie viele andere in dieser Frage derzeit noch unentschieden, doch werde es keine vollständige Liberalisierung und kein Komplettverbot geben, ist die Abgeordnete überzeugt. „Alle Menschen müssen in Würde sterben können. Niemand darf von außen dazu gedrängt werden und es darf auch keinen Druck von innen geben.“ Das Thema bewege sich im Spannungsfeld zwischen dem Schutz des Lebens einerseits und der freien Entscheidung des Einzelnen andererseits. Beide zur Abstimmung stehenden Gesetzesentwürfe sehen vor, flankierend bundesweit Suizidprävention und entsprechende Beratungsstellen aus- und aufzubauen.

Eine Stimme aus der Medizin

„Ist es ärztliche Aufgabe, beim Suizid zu helfen?“, fragte Professor Dr. Rudolph Raab, Ärztlicher Geschäftsführer am Klinikum Bayreuth.
Ärztliche Aufgabe sei das Heilen und Lindern von Schmerzen, nicht das Töten. Es gehe vorrangig darum, Leiden zu mindern, sagte der Viszeralchirurg, der in der Abdominalchirurgie mit organübergreifenden Tumoren zu tun hat. 
Unbedingt zu unterscheiden sei die Hilfe beim Sterben von der Hilfe zum Sterben, so Raab. Diese Grenze hätten die Ärzte zu beachten. Eine Hilfe zum Suizid könne nie Routine sein und auch niemals ein kommerzielles Unterfangen. Dass die Assistenz beim Suizid keine ärztliche Aufgabe sein könne, ergebe sich aus der Ehrfurcht vor dem Leben, so wie es in der Berufsordnung für Ärzte geregelt sei. 

Raab gab zu bedenken, dass es auf diese Fragen keine allgemeingültige Antwort geben könne, sondern im Einzelfall zu entscheiden sei.  Jede einzelne Entscheidung sei eine außergewöhnliche und einzigartige, bei der man sich immer frage, „wie gut kenne ich den Menschen?“. Es dürfe für den Betroffenen keinen Handlungsdruck geben. Dies sei angesichts der Tatsache, dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen zukünftig verdreifache, von besonderer Dringlichkeit.

Der Mediziner, der auch Philosophie studiert hatte, gab einen Einblick in die Philosophiegeschichte. Von den frühesten Philosophen an bestehe die Ansicht, dass das Sterben notwendiger Bestandteil des Lebens sei. „Wir sind als Menschen gefangen in Raum und Zeit. Alles muss für uns eine Grenze haben, damit wir es erkennen und definieren können. Der Tod ist die zentrale Bedingung des Menschseins. Leben heißt Sterben lernen“, so Raab. 

Der englische Dichter Shakespeare habe mit der Person Hamlet jemanden beschrieben, der am Leben verzweifelt und über Selbsttötung nachdenkt, wie mit „den Pfeilen und Schleudern des wütenden Geschicks“ umzugehen sei, doch als die Liebe seines Lebens den Raum betritt, hört er auf, über seinen Suizid nachzudenken. „Die Liebe vertreibt den Gedanken an den Tod“, das sei nach wie vor im Blick zu behalten, sagte Raab.

Theologische Perspektiven und seelsorgerliche Herausforderungen

Dr. Dorothee Arnold-Krüger, Theologische Referentin am Zentrum für Gesundheitsethik (ZfG) der Landeskirche Hannovers, gab zum Thema „Das Leben beenden“ einen Einblick in theologische Perspektiven und seelsorgerliche Herausforderungen. 
Dabei stellte sie die Debatte innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland seit 2008  und die aktuelle Studie vor, die das Zentrum für Gesundheitsethik zum Thema „Seelsorge und Assistierter Suizid“ durchführt.

Im quantitativen Teil der Studie, der im Januar 2021 abgeschlossen wurde, sei der Wunsch nach einem rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen seelsorgliche Einzelfallentscheidungen getroffen werden, deutlich geworden. Die Rolle eines Seelsorgers oder einer Seelsorgerin sei in diesem Fall neu zu klären, ebenso die Frage, wie eine seelsorgliche Begleitung eines assistierten Suizid auszusehen habe. Wichtige Punkte, die die Seelsorge dabei einbringen könne, seien neben einer „kritischen Solidarität“, wie die Theologie-Professorin Isolde Karle aus Bochum es formuliert habe, das Aushalten der Unbestimmbarkeit von Entscheidungen wie auch eine ethische Orientierungsarbeit. 

Es sei zu beachten, dass es bei der Frage nach dem assistierten Suizid um ein Dilemma und um eine existentielle Situation gehe. Eine ethische Beurteilung dieser Frage sei von einer moralischen Bewertung zu unterscheiden, so Arnold-Krüger.