Einsam

Nachricht Emden, 17. März 2021

Passionsandacht als Dialog zwischen Kunst und Kirche

Unter dem Thema „Einsam“ gestalteten am 17. März 2021 Evelina Peuser-Broeker und Superintendentin Christa Olearius die fünfte der sechs Passionsandachten in der Martin Luther Kirche Emden. Im Dialog zwischen Kunst und Kirche stand das Gemälde „Christus in der Wüste“ von Iwan Nikolajewitsch Kramskoi im Mittelpunkt. 

Kantor Marc Waskowiak (Orgel) und seine Tochter Marie (Querflöte) bereicherten den Abend musikalisch mit den drei Sätzen Allegro, Adagio und Allegro aus der Sonate für Flöte und Orgel (BWV 1020) von Johann Sebastian Bach. Zudem spielten sie Variationen über das Lied „Bewahre und Gott“.
 

Kunstgeschichtliche Betrachtung

Evelina Peuser-Broeker M.A., Museumspädagogin am Ostfriesischen Landesmuseum Emden, nahm die 90 Gottesdienstbesuchenden mit in die Betrachtung des Bildes hinein und erläuterte die neuartige Darstellungsweise des Künstlers auf dem Hintergrund seiner Zeit: „Die Komposition des Bildes ist recht einfach gehalten. Der Horizont teilt das Bild deutlich in zwei Hälften auf, die sich in Himmel und Erde einordnen lassen. Der Mann ist aus der Mitte leicht nach rechts versetzt worden und ist die dominierende Figur in diesem Bild. In dieser Umgebung scheint er kein „Fremdkörper“ zu sein, sondern harmoniert sogar mit ihr. 
Diese Figur ist Christus. Doch von seiner Göttlichkeit ist nichts zu sehen. Im Gegenteil sieht er sogar sehr menschlich, traurig und gequält aus. Der Künstler rückt hier nur die menschliche Komponente in den Vordergrund. Ein Skandal?
Zuvor war es in der russischen Malerei zum einen üblich die Heiligen in ihrem Aussehen ausgezehrt durch Fasten, Arbeit und Kümmernisse zu zeigen. Zum anderen waren es stets Darstellungen, die ausschließlich einen kollektiven Zugang zu Christus erlaubten. 

Doch im 19. Jahrhundert beginnen Künstler in Christus das eigene Alter Ego zu sehen beziehungsweise darzustellen, einen Menschen also, der ihnen ähnelt. … Der Hintergrund für diesen neuen Ausdruck liegt in der revolutionären Bewegung jener Zeit. Die bestehende Gesellschaftsordnung und die überkommenen Werte werden auf radikale Weise abgelehnt. Es sind vor allen Dingen die jungen Intellektuellen, die sich vom rebellischen Geist anstecken lassen. Darunter 14 junge Studenten der Russischen Kunstakademie, die sich 1863 entschieden weigern das vorgegebene Programm zu absolvieren, das für ihr Abschlussdiplom vorausgesetzt wird. Sie verlassen sogar die Akademie. Angeführt werden diese Studenten von Iwan Kramskoi. 

Die Parallelen zwischen dem revolutionären Zeitgeist und der neuen Darstellung Christi sind kaum voneinander zu trennen. In diesem Gemälde „Christus in der Wüste“ sehen wir es ganz deutlich. Dieser Christus entsagt allen göttlichen Attributen.“ 
Diese „Christusdarstellung unterstreicht erneut die Bestrebung einer Individualisierung mit Identifikationspotenzial, das für die rebellische Jugend seiner Zeit typisch war. Mit dieser Wüstenerfahrung, einer Zeit der inneren Prüfungen und der Versuchung, kann sich Kramskoi, der selbst auf der Suche ist, identifizieren.“
 

Theologische Betrachtung

 Grundlage der theologischen Betrachtung war die Bibelgeschichte „Jesus in Gethsemane“ aus Matthäus 26,36-46. 

Die Superintendentin des Evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Emden-Leer, Christa Olearius, fragte nach den Farben der Einsamkeit. „Kalte Einsamkeit spüre ich in mir, wenn ich das Bild „Christus in der Wüste“ betrachte. Kalte Einsamkeit spüre ich in mir, wenn ich von Jesus im Garten Gethsemane lese.“

Obwohl Jesus seine Jünger um Gemeinschaft gebeten hatte, war er einsam im Garten Gethsemane. Keinen Menschen zu haben, sei eine Wüstenerfahrung mitten im Garten, so Olearius.

„Jesus, der sonst immer von Menschen umringt war, der manchmal auch bewusst das Alleinsein gesucht hatte, spürt nun die Hammerschläge der Einsamkeit: Ich habe keinen Menschen. 

Später am Kreuz wird diese Menschen-Einsamkeit zur Gottverlassenheit. Jesus wird rufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Alleinsein kann guttun, Einsamkeit nicht. Viele können- gerade in diesen Wochen und Monaten- mit einstimmen in die Worte des Einsamen: Ich habe keinen Menschen!“

In den Worten aus Psalm 68 könnte Trost gefunden werden. Dort heißt es: „Gott gibt den Einsamen ein Zuhause.“ Trost sei aber auch zu finden in den Worten Jesu. Er sagte: „Mein Vater!“ Damit begebe er sich in die schützende Geborgenheit Gottes.


 

Der Gottesdienst fand statt unter den erforderlichen Corona-Schutzmaßnahmen.

Die diesjährigen Passionsandachten stehen unter dem Motto „Wüstenwege“. „Zu den menschlichen Erfahrungen gehört es, dass schwere und entsagungsvolle Abschnitte des Lebens wie ein langer Weg durch eine Wüste empfunden werden“, sagt Regionalbischof Dr. Detlef Klahr, der das Programm der Andachten maßgeblich entworfen hat. Sie sollen dazu verhelfen, existenzielle Erfahrungen solcher „Wüstenwege“ durch die Kunst der ausgewählten Bilder zu deuten und zugleich auf den „Wüstenweg“ der Passion Christi zu beziehen, so Klahr.

Die Reihe der sechs Passionsandachten werden im dreizehnten Jahr gemeinsam vom Sprengel Ostfriesland-Ems, den lutherischen Kirchengemeinden Emdens und dem Ostfriesischen Landesmuseum Emden in der Reformationsstadt Emden veranstaltet. Erstmals finden sie in der Martin Luther Kirche Emden statt.
 

Die nächste Passionsandachten in der Kulturkirche Martin-Luther; Mittwoch um 18.15 Uhr

24.03.2021: „Gerettet“ 

Sarah Byl, M.A., Kunsthistorikerin, Emden
Regionalbischof Dr. Detlef Klahr, Sprengel Ostfriesland-Ems 
 
Musik: Landesposaunenwart Hayo Bunger (Posaune) und Kantor Marc Waskowiak(Orgel/Klavier)
 
Bild: Floris van Schooten: Die eherne Schlange, um 1655.
 
Bibeltexte: 4. Mose 21,4-9 und Johannes 3,12-17

 
In diesem Jahr entfällt Literatur und Musik in der Karwoche. Am Karfreitag, den 2.April, und Ostersonntag, den 4. April 2021, predigt Regionalbischof Dr. Detlef Klahr jeweils um 11 Uhr in der Martin-Luther-Kirche Emden.