Angefochten

Nachricht Emden, 24. Februar 2021

Passionsandacht als Dialog zwischen Kunst und Kirche


Am Mittwoch, den 24. Februar 2021, kamen 90 Personen zur zweiten der sechs Passionsandachten in die Martin Luther Kirche Emden, Bollwerkstraße 9. Unter dem Thema „Angefochten“ gestalteten Ilse Frerichs, Museumspädagogin im Ostfriesischen Landesmuseum Emden, und Pastorin Vera Koch, Johannesgemeinde Emden und Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Loquard, den Dialog zwischen Kunst und Kirche.

Im Mittelpunkt der Andacht stand das Bild „Prophet Elia in der Wüste“ von Dieric Bouts dem Älteren (1464/1467) und Bibelworte aus 1. Könige 19,1-8 und Jakobus 1,2-3 und 12.

Die musikalische Gestaltung hatten Kantor Marc Waskowiak (Klavier) und seine Tochter Esther (Cello) übernommen. Sie spielten ein Arioso von Johann Sebastian Bach, Après un Reve von Gabriel Fauré, das Lied "Bewahre uns Gott" und zum Abschluss die  Vocalise op. 34 Nr. 14 von Sergej Rachmaninow.

Der Gottesdienst fand statt unter den erforderlichen Corona-Schutzmaßnahmen.

Die diesjährigen Passionsandachten stehen unter dem Motto „Wüstenwege“. „Zu den menschlichen Erfahrungen gehört es, dass schwere und entsagungsvolle Abschnitte des Lebens wie ein langer Weg durch eine Wüste empfunden werden“, sagt Regionalbischof Dr. Detlef Klahr, der das Programm der Andachten maßgeblich entworfen hat. Sie sollen dazu verhelfen, existenzielle Erfahrungen solcher „Wüstenwege“ durch die Kunst der ausgewählten Bilder zu deuten und zugleich auf den „Wüstenweg“ der Passion Christi zu beziehen, so Klahr.

Die Reihe der sechs Passionsandachten werden im dreizehnten Jahr gemeinsam vom Sprengel Ostfriesland-Ems, den lutherischen Kirchengemeinden Emdens und dem Ostfriesischen Landesmuseum Emden in der Reformationsstadt Emden veranstaltet. Erstmals finden sie in der Martin Luther Kirche Emden statt.
 

Kunstgeschichtliche Betrachtung

In ihrer kunstgeschichtlichen Betrachtung stellte Ilse Frerichs den Abendmahlsaltar der St. Peterskirche in Löwen vor, den Dieric Bouts der Ältere in den Jahren 1464 bis 1467 gestaltet hatte. Das Bild "Prophet Elia in der Wüste" ist ein Teil des Triptychons und stand im Mittelpunkt der BIldbetrachtung.

"Das Motiv, Prophet Elia in der Wüste, kam in einem Abendmahlsaltar eher selten zur Darstellung. ..." 

"Wir schauen auf eine Landschaft, die wir auf den ersten Blick vielleicht gar nicht als eine typische Wüstenlandschaft bezeichnen würden. Tatsächlich interpretierten die nordländischen Maler dieser Zeit den Begriff der Wüste eher als einen entlegenen Ort, fern der Zivilisation. Erdige Töne von Ocker bis Dunkelbraun und Olivtöne in verschiedenen Schattierungen bestimmen die Farbigkeit der Landschaft. Am unteren Bildrand sind Pflanzen, die wir vom Wegesrand kennen, sehr zart und mit feinem Pinselstrich gemalt. 
In diese Landschaft gebettet sehen wir den Propheten Elia. Er liegt diagonal, halb auf felsigem Grund und halb auf einem Weg, der in schlängelnder Bewegung hoch bis in den rechten oberen Bildrand führt. Sein müdes Haupt hat er mit dem rechten Arm abgestützt. Das Oliv seines Mantels fügt sich farblich in die Landschaft ein. Das warme Rot seines Umhangs scheint sich aber auch eigentümlich von dem Grund, auf dem er liegt, abzuheben. Vor ihm liegt sein Wanderstab, der die Horizontlinie am oberen Bildrand wiederholt. Zwei Vertikale finden wir in dem hohen, schlanken Baumstamm oben links und in dem linken Engelsflügel. Rechts vom Propheten und etwas erhöht beugt sich der Engel zu ihm hinab und rührt ihn an. Das Bläulich-Weiße seines Engelsgewandes wiederholt sich in seinem rechten Flügel. Diese Farbtöne sehen wir auch in der im Dunste liegenden fernen Landschaft und dem schmalen Stück Himmel. 

Links neben Elia steht ein Gefäß, das von einem runden Stück Brot bedeckt wird. Brot und Krug fallen kaum auf. Sie sind exakt gleich farbig wie das Felsengeröll und muten fast organisch an. Von der Form her erinnern sie mich an einen Pilz, wirken aber auf mich kaum wie eine Nahrung, die einen Propheten 40 Tage und Nächte bei Kräften halten könnte. Es ist, als sei das irdische Brot in der Darstellung eher zweitrangig. Man muss zweimal hinschauen, um es zu entdecken. Brot und Wasser fügen sich ein in die Landschaft, in unsere physische Welt. 

Es ist der Engel, der uns mit seiner Berührungsgeste anrührt. Er ist Gottes Bote und steht für eine Nahrung, die geistig ist und alle Zeiten überdauert..."
 

Theologische Auslegung

Pastorin Vera Koch brachte in ihrer Auslegung der biblischen Geschichte aus 1. Könige 19,1-8 die Gefühlswelt des Propheten Elia zum Ausdruck: "Ich… Ich kann nicht mehr. Meine Seele ist wie ein zerbrochenes Gefäß. Ein Krug, der seinen Inhalt nicht mehr halten kann. Alles Kostbare in seinem Inneren verliert. Es rinnt durch Spalten und Risse. Es rinnt mir alles durch die Finger. Ich kann es nicht halten, festhalten. 
Ich verliere - alles. Den Halt. Meine Kraft. Meinen Glauben. Ich… ich kann nicht mehr...."

Elia auf der Flucht in die Wüste. In die Einsamkeit.

"Er läuft ohne Ziel. In die heiße Sonne, die flirrende Luft. Weg von den Konsequenzen seines Befehls. 
Weg von dem, für den er steht, für den er diesen Streit gewonnen hat. Weg von Gott. 
Er zieht sich zurück. In den Schatten eines Ginsterbaumes. Gestrüpp, was in der Wüste wächst. Wachsen kann. Es bietet etwas Schutz. Weiße Äste, weiße Blätter. Dabei fühlt Elija selbst sich so beschmutzt.
Er hat Schuld auf sich geladen. Er spürt sie auf seinen Schultern. In seiner Seele. Sie quält ihn. Lässt ihn zusammen sinken. An Ort und Stelle. Im Schatten. Im Sand. Lässt ihn die Augen schließen. Sich zurücklehnen. Nicht weitergehen. Liegen. Etwas Frieden. Nicht mehr laufen. Und plötzlich ist die Angst ganz klein. Und was er sich wünscht ganz klar.
*
Ich… Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. "

Am Ende kommt Elia zu Kräften:

"Neue Kraft, einen gewachsenen Glauben. Er hat die leere Wüste in sich mit neuem Leben gefüllt, den Kampf gegen sich selbst gewonnen. 
In der Ferne sieht er den Horeb. Den Gottes Berg.
Elija isst. Elija trinkt. Er kann (und wird) noch einen weiten Weg gehen. Er geht ihn nicht alleine."


 

Das Programm der Passionsandachten in der Kulturkirche Martin-Luther im Überblick; mittwochs um 18.15 Uhr

17.02.2021: „Bewahrt“

Dr. Annette Kanzenbach, Kunsthistorikerin, Ostfriesisches Landesmuseum Emden
Regionalbischof Dr. Detlef Klahr, Sprengel Ostfriesland-Ems 
 
Musik: Marie Waskowiak (Querflöte) und Kantor Marc Waskowiak (Orgel/Klavier)
 
Bild: Johan Vorhagen: Mose schlägt Wasser aus dem Felsen, 1577, Ostfriesisches Landesmuseum Emden, 
 
Bibeltexte: 2. Mose 17,3-7 und Johannes 4,10
 
 

24.02.2021: „Angefochten“ 

Ilse Frerichs, Museumspädagogin, Ostfriesisches Landesmuseum Emden
 
Pastorin Vera Koch, Johannesgemeinde Emden und Ev.-luth. Kirchengemeinde Loquard
 
Musik: Esther Waskowiak (Cello) und Kantor Marc Waskowiak (Orgel/Klavier)
 
Bild:  Dieric Bouts d.Ä.: Prophet Elia in der Wüste, 1464-1467, Teil des Abendmahlsaltars der St. Peterskirche Löwen, Belgien
 
Bibeltexte: 1. Könige 19,1-8 und Jakobus 1,2-3 u. 12 
 
 

03.03.2021: „Verachtet“

Dr. Annette Kanzenbach, Kunsthistorikerin, Ostfriesisches Landesmuseum Emden
Pastor Christoph Jebens, Martin-Luther-Kirchengemeinde Emden 
 
Musik: Matthias Visarius (Orgel) und  Dorothea Ohly-Visarius (Gesang)
 
Bild: Veronese und Werkstatt: Der Engel erscheint Hagar in der Wüste, um 1585, Kunsthistorisches Museum Wien 
 
Bibeltexte: 1. Mose 16,1-15 und Jesaja 53,3-4
 
 

10.03.2021: „Versucht“

Magister Georg Kö, Wien, Ostfriesisches Landesmuseum Emden
Pastorin Ina Schulz, Paulusgemeinde Emden 
 
Musik: Margarethe Huisinga (Akkordeon)
 
Bilder: Salvador Dali: Die Versuchung des Heiligen Antonius, 1946, Königliches Museum für Schöne Künste Brüssel, Belgien, 
und Max Ernst: Die Versuchung des heiligen Antonius, 1945, Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg 
 
Bibeltexte: Matthäus 4,1-11 und Hebräer 4,15-16 
 

17.03.2021: „Einsam“

Evelina Peuser-Broeker, M.A., Museumspädagogik, Ostfriesisches Landesmuseum Emden
Superintendentin Christa Olearius, Kirchenkreis Emden-Leer 
 
Musik: Lea Waskowiak (Violine) und Kantor Marc Waskowiak (Orgel/Klavier)
 
Bild: Iwan Nikolajewitsch Kramskoj: Christus in der Wüste, 1872, Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau, Russland
 
Bibeltexte: Matthäus 26,36-46 und Psalm 142,5

24.03.2021: „Gerettet“ 

Sarah Byl, M.A., Kunsthistorikerin, Emden
Regionalbischof Dr. Detlef Klahr, Sprengel Ostfriesland-Ems 
 
Musik: Landesposaunenwart Hayo Bunger (Posaune) und Kantor Marc Waskowiak(Orgel/Klavier)
 
Bild: Floris van Schooten: Die eherne Schlange, um 1655.
 
Bibeltexte: 4. Mose 21,4-9 und Johannes 3,12-17

 
In diesem Jahr entfällt Literatur und Musik in der Karwoche. Am Karfreitag, den 2.April, und Ostersonntag, den 4. April 2021, predigt Regionalbischof Dr. Detlef Klahr jeweils um 11 Uhr in der Martin-Luther-Kirche Emden.