Nie wieder ist jetzt

Nachricht Emden, 27. Januar 2025

Regionalbischöfin Schiermeyer zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz

Ich war noch sehr jung, selbst noch ein Kind, als ich im Schulunterricht die Bilder der Kinder in Auschwitz sah. Ich saß in einem warmen Klassenzimmer, gleich in der Pause würde ich Gummitwist mit meinen Freundinnen spielen. Meine Lehrerin lächelte mich freundlich an, und zuhause würde meine Mutter lächeln, wenn sie mir die Tür öffnete und wir zusammen aßen. Dann würde ich Hausaufgaben machen und spielen gehen oder voltigieren. Ich war sicher. Ich hatte es gut.

Aber da waren diese Kinder, und ich ertrug ihren Anblick nicht. Auf dem einen Bild trugen sie Joppen und Mützen und kleine Gepäckstücke. Sie hielten die Hände der Großen, die sie mitnahmen auf die Reise hinter den Stacheldraht, in die brutale Welt von Hass und Gewalt und Untergang. An ihren Jacken klebte der Stern. Nie wieder würden sie in einer Schule sitzen, nie wieder am Mittagstisch der Mutter.

Auf dem anderen Bild blickte eine Kindergruppe hinter dem Stacheldraht auf die, die ihn aufschneiden würden. Es war der 27. Januar 1945. Der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Heute vor 80 Jahren. Alle trugen KZ-Kleidung. Die Gesichter waren ohne Ausdruck. Leer. Nur ein Junge verzog den Mund wie zu einem Weinen. Die Großen waren ihnen verloren gegangen.

Andere Große hatten ihre kleinen Seelen zerrissen. Und in die Generation dieser Großen gehörten meine Großeltern. Wie sollte die Welt ihnen je wieder zulächeln?

Auschwitz – ich begriff als Kind, das dieser Name einer der vielen Namen der Hölle ist. Ein Name für das Böse, das sich in ganz normalen Menschen eingenistet hatte, um ganz normale Kinder zu vernichten.

Es ging mir über den Verstand. Und es geht mir immer noch über den Verstand. Der Riss, den die Bilder in meiner Kinderwelt hinterließen, ist nicht mehr weggegangen. Und er darf auch nicht weggehen, damit ich nicht vergesse, dass dieser Riss nur eine winzige Fortsetzung der großen Risse ist, die Menschen und Völker, Kleine und Große für immer zerrissen. In mir muss er schmerzen, um daran zu erinnern, dass das Böse noch nebenan wohnt und kleine und große Menschen niemals hinter solchen Stacheldraht gehören. Nie wieder ist jetzt.