Ökumenische Passionsandacht zum Misereor-Hungertuch in Emden
„Das diesjährige Tuch zur Fastenzeit lässt mich über Gottes gute Schöpfung staunen und regt dazu an, über die Bewahrung der Schöpfung nachzudenken, wie das viele junge Menschen zur Zeit weltweit tun“, sagte Landessuperintendent Dr. Detlef Klahr und nahm dabei Bezug auf die weltweiten Schülerdemonstrationen „fridays for future“ zum Klimaschutz.
Der Regionalbischof für den Evangelisch-lutherischen Sprengel Ostfriesland-Ems hatte den Künstler Uwe Appold nach Emden eingeladen, um dort gemeinsam mit ihm das aktuelle Hungertuch des römisch-katholischen Hilfswerks Misereor „Mensch, wo bist du?“ im Ostfriesischen Landesmuseum in Emden vorzustellen. Mit dieser Frage, suchte Gott in der biblischen Schöpfungsgeschichte die ersten Menschen im Paradies, als sie von der verbotenen Frucht gegessen und sich versteckt hatten.
Die diesjährigen Passionsandachten beschäftigten sich mit den Künstlern Otto Dix, Pablo Picasso, Marc Chagall, Max Beckmann und Käthe Kollwitz, die unmittelbar durch den Ersten Weltkrieg oder dessen Folgen geprägt waren. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, wie das Thema „Leid“ in der Kunst aufgegriffen wurde und seitdem die Darstellung der Leidensgeschichte Jesu veränderte.
Durch den zeitgenössischen Künstler Uwe Appold (76) aus Flensburg wurde ein Bogen zur Gegenwart geschlagen, denn diese sei heute, hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, durchaus von den Weichenstellungen geprägt, die in dessen Folge geschahen, ist der Künstler überzeugt.
Die sechste und letzte Passionsandacht stellte das Leid von „Mutter Erde“ ins Zentrum. Sie werde missbraucht, ausgeplündert und ihr werde Gewalt angetan. Dabei werde vergessen, dass „Mutter Erde“ uns erhält, lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt, wie Papst Franziskus es in Anlehnung an den Heiligen Franz von Assisi in seiner Enzyklika „Laudato si“ aus dem Jahr 2015 zum Ausdruck bringt. Die Sorge um das gemeinsame Haus, von der Papst Franziskus schreibt, habe den Künstler zur Gestaltung des Hungertuchs angeregt, so Appold. Dabei stehe das offene Haus im Zentrum. Dies sei umgeben von der Liebe Gottes (abgebildet durch einen goldenen Kreis auf rotem Untergrund) und gegründet auf Erde aus dem Garten Gethsemane in Jerusalem, dem Garten, in dem Jesus verhaftet worden war. „Auf diese Erde fielen die Tränen Jesu. Hier begann sein Leidensweg und unsere Glaubensgeschichte“, sagte der Künstler.
Die alles dominierende Farbe des Hungertuchs ist ein leuchtendes Blau, das für die Verbindung von Himmel und Erde steht. „Diese Farbe der Zuverlässigkeit und Treue Gottes gibt mir Mut zur Hoffnung, ermutigt uns, Verantwortung für Gottes Schöpfung zu übernehmen“, so Appold.
Die Sorge um das gemeinsame Haus sei unabhängig von Konfession, Hautfarbe oder Herkunft, betonte der Regionalbischof.
Gemeinsam mit Pfarrer Jörg Buß von der römisch-katholischen Christ-König-Gemeinde Emden sprach Dr. Klahr über den kirchlichen Gebrauch der Hungertücher, die nun seit über 40 Jahren durch das Misereor Hilfswerk wieder in Gebrauch kamen. In den römisch-katholischen Gemeinden stehe der liturgische Gebrauch im Gottesdienst an erster Stelle. In den 40 Tagen vor Ostern werde damit der Altar verhängt. In Predigten würden die Abbildungen thematisch aufgegriffen und der fünfte Sonntag in der Passionszeit sei mittlerweile fest der Misereor-Fastenaktion gewidmet, mit der soziale Projekte unterstützt werden. In diesem Jahr ist das Geld für Jugendliche in El Salvador bestimmt.
In lutherischen Gemeinden würden Hungertücher gerne im Konfirmandenunterricht verwendet, auch schmücken sie manchmal Gemeindehäuser. Pastorin Dr. Hannegreth Grundmann, die als Pressesprecherin des Sprengels die Gespräche mit den beiden Theologen und dem Künstler moderierte, machte darauf aufmerksam, dass ihr das Hungertuch aus Haiti aus dem Jahr 1982 in Erinnerung geblieben war, in dem sich das damals aktuelle politische Thema der Friedensbewegung wiederfand. So könne sich im jetzigen Hungertuch durchaus die aktuelle Klimaschutzbewegung wiederfinden.
Die über tausendjährige Tradition der Hungertücher stellte Dr. Annette Kanzenbach, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ostfriesischen Landesmuseum Emden, den 110 Besuchern im Rummel aus kunsthistorischer Sicht vor.
Dabei wies Dr. Kanzenbach darauf hin, dass sich mancherorts Fastentücher erhalten haben, die 100 oder auch mehrere 100 Jahre alt sind. In der Mehrzahl finden heute die aktuellen Misereor-Hungertücher Verwendung. Mit ihnen stellen Künstler aller Kontinente zugleich ein Stück ihrer Kultur und Geschichte vor. Mit dem 20. Hungertuch hat nun ein deutscher Künstler lutherischer Konfession den Auftrag erhalten. Dr. Kanzenbach stellte fest, dass Uwe Appolds Komposition den Betrachter mit seiner offenen Bildsprache sehr direkt anspreche und dabei Freiraum für eigene Assoziationen lasse. „Das Bild fragt mich“, so die Kunsthistorikerin, „wo stehe ich mit meinen Überzeugungen und Taten?“
Kantor Marc Waskowiak ließ sich mit seinen musikalischen Improvisationen am E-Piano auf die jeweilige Thematik der sechs Abende ein und begleitete den Gemeindegesang.
Mit der Kollekte wird die Restaurierung des Passionszyklus von Hans II van Coninxloo im Ostfriesischen Landesmuseum ermöglicht.
Die Passionsandachten wurden im elften Jahr veranstaltet vom Sprengel Ostfriesland-Ems, den lutherischen Kirchengemeinden Emdens und dem Ostfriesischen Landesmuseum Emden. In diesem Jahr fanden sie statt unter dem Thema „Wenn alles bricht – mit Umbrüchen leben“ und schlossen sich dem Gedenken „100 Jahre Ende des Ersten Weltkrieges“ an.